Ich bin ja recht neu in dieser Selbstständigkeit. Ich muss mich mit tausend neuen Dingen beschäftigen und habe gerade eine ziemlich steile Lernkurve. Und dabei sagt mir niemand, was ich zu tun habe, wie ich es zu tun habe und wie ich mich selbst organisiere. Als (Teil-)Selbstständige, die sich nebenbei ein kleines Business aufbaut, muss ich mir selbst überlegen, wie ich mich positioniere. Ich muss mir beibringen, wie das mit der Abrechnung & Steuer funktioniert, dieses Social Media Game verstehen und mein Netzwerk aufbauen. Da brummt einem schon zwischendurch der Kopf. Manchmal fehlen mir die Einfälle. Ich frage mich, was zum Teufel ich mir eigentlich hierbei gedacht habe. Und habe das Gefühl, ich werde es nie lernen.
Und dann gibt es wieder so Erlebnisse, wie gestern. Ich merkte, wie steif ich vor meinem Laptop saß, wie mir nichts mehr einfiel und ich dringend etwas anderes tun musste. Nach einigen Jahren Übung bin ich mittlerweile bereits ganz gut darin geworden, eine gesunde Verbindung zu mir selbst und meinem Körper aufzubauen. Ich zog mich um, schnappte mir meine Joggingsschuhe und drehte eine Runde durchs Grüne. Als ich danach unter der Dusche stand, sprudelte mein Gehirn vor neuen Ideen und ich musste mich mit noch nassen Haaren wieder an den Schreibtisch setzen, um sie alle aufzuschreiben.
Mein Erlebnis gestern ist ein klassisches Beispiel dafür, wie essentiell die Körper-Geist-Verbindung für das Lernen ist. Manche Menschen behaupten, dass sie die besten Ideen beim Duschen oder Zähneputzen, beim Joggen oder beim Autofahren haben. Auch Babys erkunden ganz natürlicherweise ihre Umwelt, indem sie z.B. eine Weile lang alles in den Mund stecken. Interessanterweise haben alle diese Situationen gemeinsam, dass man sich in einem Zustand befindet, der mit Ideenfindung oder Lernen erst einmal gar nichts zu tun hat. In allen Situation sind wir mit unserem Körper beschäftigt, körperlich aktiv oder zumindest die Augen sind auf eine sich bewegende Umgebung gerichtet. Diese körperlichen Zustände werden von unserem Nervensystem wahrgenommen und an unser Gehirn gesendet,. Das Gehirn wiederum interpretiert die Nervensystemzustände. Basierend darauf entscheidet es, welche Informationen aufgenommen und gefiltert werden, welche emotionale Färbung diese Informationen bekommen und wo sie zur weiteren Verarbeitung gespeichert werden. Das geschieht blitzschnell und ohne unser bewusstes Zutun.
Unser Zustand, unsere Umgebung, unsere körperliche (In-)Aktivität sind entscheidend dafür, wie wir Informationen verarbeiten.
Dass der Körper das wichtigste Erfahrungsinstrument des Menschen ist, wissen auch Schauspieler, die sich lange Textpassagen besser merken können, wenn sie die dazugehörigen Bewegungen, die sie auf der Bühne ausführen werden auch schon während der Textprobe ausführen.
Unser Gehirn und unser Körper bilden eine untrennbare funktionelle Einheit.
Kein Wunder also, dass das stundenlange Sitzen am Schreibtisch und das monotone Auswendig-Lernen vor der Klausur nicht selten zur Verzweiflung führt. Wir sind nämlich gar nicht dafür gemacht, so zu lernen.
Zunehmende Forschung auf dem Gebiet der Körper-Geist Verbindung haben bereits dazu geführt, dass Embodiment Konzepte überall mehr und mehr Einzug finden. Vereinzelt wird z.B. in Schulen und Bildungseinrichtungen bereits die Life Kinetik (eine Methode, die vor allem im Hochleistungssport bekannt ist und die kognitiv anspruchsvolle Wahrnehmungsaufgaben mit wechselnden ungewöhnlichen Bewegungsmustern kombiniert) als Teil des Unterrichts eingebaut. Es müsste aber noch viel weiter gehen. Es geht um die Frage, wie wir eine Lernatmosphäre schaffen können, die unser Gehirn in einen lernbereiten Zustand versetzt. Es geht darum, wie wir Wissen vermitteln und Gelerntes integrieren können. Und es geht darum, was wir von uns selbst und den Lernenden in dieser Welt erwarten.
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